Das Landgericht Berlin I (Landgericht für Strafsachen) hat eine prominente 33-jährige Journalistin vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen freigesprochen. Dem war eine jahrelange strafrechtliche Auseinandersetzung vorausgegangen.
Es war ein Interview während der Corona-Zeit, auf das eine bekannte Berliner Journalistin reagieren wollte. In dem Interview wurde ein Investor als „sozial“ bezeichnet. Die Journalistin – der auf verschiedenen sozialen Medien mehrere zehntausend Menschen folgen – veröffentlichte unter ihrem Pseudonym daraufhin im Juli 2022 einen Gegenbeitrag und belegte ihre Behauptungen mit Verlinkungen. Die erste Verlinkung führte zu einem Video, das auf YouTube abrufbar war. Das Vorschaubild (Thumbnail) enthielt neben der Abbildung des Investors ein weiteres Symbol und eine Hakenkreuzfahne.
Auf diesen Beitrag wurde die Polizei Bayern aufmerksam. Diese fand heraus, wer sich hinter dem Pseudonym verbarg und gab die Ermittlungen im August 2022 an die Staatsanwaltschaft Berlin ab. Denn hier wohnt die Journalistin. Der Polizeiliche Staatsschutz beim Landeskriminalamt vertiefte die Ermittlungen. Im Januar 2023 konfrontierte die Staatsanwaltschaft Berlin sie nun erstmals mit den gegen sie geführten Ermittlungen und räumte ihr ein, sich zu den Vorwürfen zu äußern. In einer mehrseitigen Schutzschrift fordert ihr Verteidiger Ehssan Khazaeli die Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO). Die Voraussetzungen der sogenannten Sozialadäquanzklausel lägen vor. Nach § 86 Absatz 3 StGB ist die Verbreitung zulässig, „wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“
In einem behördeninternen Vermerk hält die Staatsanwaltschaft Berlin an der Strafbarkeit fest. Die Voraussetzungen der so genannten Sozialadäquanzklausel lägen gerade nicht vor. Am Amtsgericht Tiergarten beantragt diese den Erlass eines Strafbefehls über 3.000,00 Euro. Die zuständige Richterin sendet die Akten allerdings wieder zurück an die Staatsanwaltschaft Berlin und teilt mit, dass sie die Auffassung des Verteidigers teilt. Außerdem sei das Hakenkreuz nicht zur Verherrlichung des NS-Regims verwendet worden. Sie werde den Strafbefehl daher nicht erlassen. Die Staatsanwaltschaft antwortet prompt: Eine „offenkundig distanzierende Darstellung“ sei nicht erkennbar. An dem Strafbefehl werde festgehalten. Im Einspruch regt die Verteidigung an, das Verfahren nach § 153 Abs. 2 StPO oder hilfsweise § 153a Abs. 2 StPO einzustellen und der Angeklagten aufzugeben, einen mittleren dreistelligen Eurobetrag an eine gemeinnützige Organisation zu zahlen. Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung könne hierdurch beseitigt werden. Die Staatsanwaltschaft Berlin widerspricht einer derartigen Einstellung.
Das Amtsgericht Tiergarten verurteilt die Journalistin im September 2023 erneut wegen Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen, sah jedoch wegen geringer Schuld von einer Bestrafung ab. Hierbei handelt es sich um eine Besonderheit nach §§ 86a Abs. 3, 86 Abs. 5 des Strafgesetzbuchs (StGB). Die Angeklagte muss jedoch die Verfahrenskosten und ihre notwendigen Auslagen selbst tragen – also die Rechtsanwaltsgebühren.
Hiergegen wurde Berufung eingelegt. In der Berufungsbegründung wurde von der Verteidigung einmal eingehend auf die Begriff staatsbürgerliche Aufklärung und Berichterstattung eingegangen. Der Begriff der staatsbürgerlichen Aufklärung unterfallen Handlungen, die der Wissensvermittlung zur Anregung der politischen Willensbildung und Verantwortungsbereitschaft der Staatsbürger und damit der Förderung ihrer politischen Mündigkeit durch Information dienen. Auf den Träger dieser Aufklärung kommt es grundsätzlich nicht an; sie kann in Schulen und politischen Bildungsstätten vermittelt werden oder durch Presse, Rundfunk und Fernsehen, oder auch durch Privatpersonen.
Berichterstattung meint jede Form der Nachrichtenübermittlung oder Dokumentation, die ein wahres Geschehen zum Inhalt hat und Informationszwecken dient. Dabei muss die Berichterstattung sich auf Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte beziehen. Anzuknüpfen ist demnach an reale Sachverhalte, die sich gegenwärtig abspielen oder in der Vergangenheit liegen. Anders als bei der staatsbürgerlichen Aufklärung, kommt es auf eine pädagogische Zweckrichtung nicht an. Sozialadäquat kann freilich nur eine die wiedergegebene, inkriminierte Position inhaltlich ablehnende, zumindest aber eine meinungsneutrale Informationstätigkeit sein (LG Berlin, Beschl. v. 17.06.2009, 537 Qs 82/09, openJur 2912, 11055; Altermann FS Eisenberg, 2009, 233, 238.).
Das Landgericht Berlin I nahm die Berufung im Dezember 2023 allerdings nicht zur Entscheidung an. Es nahm an, dass ein Fall der Annahmeberufung nach § 313 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) vorliegt. Das Landgericht Berlin I führte aus, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 313 Abs. 2 StPO habe. Das Kammergericht hob die Entscheidung auf die sofortige Beschwerde der Angeklagten auf und wies die Sache dem Landgericht Berlin I zu. Die Nichtannahmeentscheidung sei zwar grundsätzlich unanfechtbar. Es müsse sich aber tatsächlich um einen Fall des § 313 Abs. 1 StPO gehandelt haben, führte die Verteidigung in einem Schriftsatz aus. Hat das Landgericht tatsächlich – wie im vorliegenden Fall – irrig die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 StPO angenommen, obwohl die Berufung der Annahme nicht bedurfte, ist gegen den Nichtannahmebeschluss sofortige Beschwerde zulässig (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt StPO § 323, Rn. 8).
Nach § 313 Abs. 1 StPO läge ein Fall der Annahmeberuf nur in den Fällen vor, wenn der Angeklagte zu einer Geldstrafe von weniger als 15 Tagessätze verurteilt wurde, nicht jedoch, wenn das Gericht von Bestrafung abgesehen hat, entschied das Kammergericht im März 2024. Wegen des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit müsse dem Bürger klar sein, ob und welches Rechtsmittel und unter welchen Voraussetzungen dieses eingelegt werden müssten. Da der § 313 Abs. 1 StPO das Absehen von Strafte nicht als Fall der Annahmeberufung nennt, bedarf es in diesem Fall auch nicht der Annahme durch das Berufungsgericht. Darüber wurde bereits im März 2024 berichtet. Die gesamte Entscheidung hier.
Im ersten Hauptverhandlungstermin vor dem Landgericht Berlin I lehnte die Angeklagte die Vorsitzende Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie habe durch ihre Nichtannahmeentscheidung deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie sich bereits vorentschieden habe. Damit habe sie zugleich eine innere Haltung eingenommen, die besorgen lassen, sie würde nicht mehr unbefangen über die Sache entscheiden können. Die Verhandlung wurde daraufhin ausgesetzt.
Im Rahmen des nächsten Hauptverhandlungstermins wurde die Angeklagte vom Vorwurf des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichens gänzlich freigesprochen. Die gegen die Entscheidung eingelegte Revision nahm die Staatsanwaltschaft nach Prüfung der schriftlichen Urteilsgründe zurück. Das Urteil ist damit rechtskräftig.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Landeskasse Berlin.
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